Kim Guttenberg

Von Klaas Kabel

Als Kim Dotcom, der selbsternannte Internetmillionär, aus dem Gerichtsgebäude in Auckland herausschiebt, sieht er aus wie immer. Also wie Kim Schmitz aus Kiel. Kaum ein Foto findet sich von ihm, auf dem er sich nicht in Pose setzt und mit aller Wucht ein Image zu verkaufen versucht. Und doch, am Ende ist Kim Jim Tim Vestor, Dr. Kimble oder Kim Dotcom nur der dicke und ziemlich peinliche Schmitz. Seinem Körper kann er nicht entkommen, das Beharrungsvermögen ist zu groß. Es muss eine Qual sein für einen Mann, der wie er von Entgrenzung lebt.

Interessanter als die Frage, welchen Zweck die Website Megaupload hatte und welchen Schaden sie angerichtet hat, ist der Wunsch des Gründers, ein anderer zu sein als er ist. Wo er herkommt, soll keiner wissen. Was er sein will, darüber darf niemand im Unklaren bleiben. Die eigene Vita größer und interessanter zu machen, ist die Kunst der Hochstapler. Sie gab es schon immer und es werden immer mehr, denn das Internet ist auch ihr Paradies.

Unter vielen Versprechungen des Webs findet sich eine, die den Urtraum vieler Menschen zu erfüllen scheint: Ein anderer sein zu können, als man wirklich ist. Mit dem eigenen Namen geht es los. Tief im Inneren ist jeder davon überzeugt, mit seinem Eigennamen identisch zu sein. Nur leider konnte sich niemand je seinen eigenen Namen aussuchen. Er ist gegeben wie das Leben selbst. Am Anfang steht die Fremdbestimmung. Spitznamen versprechen keine Befreiung, schleppen sie doch den Kern des fremdvergebenen Namens mit sich oder spielen auf Charaktereigenschaften an und schreiben damit den Status Quo nur umso deutlicher fest.

Wer sich einen neuen Namen gibt, will ein anderer sein, oder doch zumindest ein Neuer, ein Verwandelter. Er möchte sich selbst noch einmal zur Welt bringen, aus eigenem Antrieb. Der Nick im Internet, das Pseudonym, der Avatar gibt einen kleinen und unschuldigen Geschmack dieser ersehnten Freiheit. Ich darf mir einen neuen Namen geben und ein anderer sein, der ich schon immer sein wollte aber nie gewesen bin. Zugleich verspricht das Pseudonym Schutz vor dem Zugriff auf das eigene Ich. Nicht jeder möchte seine Äußerungen mit dem eigenen Namen verknüpft sehen. So strömt der Umgang mit dem Ich im Web hin und her zwischen dem spielerischen Ausprobieren von alternativen Ich-Möglichkeiten und dem Wunsch, das eigene Ich zu beschützen.

Kim Schmitz ist auch hier einen Schritt weitergegangen. Während der Zwang zu Klarnamen als Versuch gewertet werden darf, die Rede im Web auf Identitäten zurückzuführen und für Werbung verwertbar zu machen, geht Schmitz den umgekehrten Weg und führt das freie Spiel mit Fiktionen in die reale Welt ein. Seine Metamorphosen sind kein Beiwerk, sie treffen den Kern. Wer seinen Taufnamen aufgibt, um sich Dotcom zu nennen, zeigt an, dass er sich um Identitäten nicht schert und das Kommando über sich selbst übernommen hat. Dotcom ist die Chiffre für die Welt der Doppelgänger und Gespenster, in der alles möglich ist. Auch morgen ein anderer zu sein als heute, und übermorgen wieder. Ein Mann wie Schmitz rückt sich damit in die Nähe der Schauspieler, nur dass er seine Rollen selbst schreibt. Und damit ist er ganz nahe beim Prototyp unserer Zeit: Dem Darsteller, der solange mit Bildern jongliert, bis ihm alle glauben, dass er wirklich das ist, was zu sein er vorgibt.

Baron zu Guttenberg ist deshalb der Zwillingsbruder von Schmitz. Seinen Namen musste er nicht erfinden, ein Gaukler war aber auch er. Der Unterschied lag nur darin, dass Guttenberg seine Schwindeleien an den Codes einer bürgerlich-konservativ-katholischen Wertewelt ausgerichtet hat, mit der Schmitz augenscheinlich nie etwas anfangen konnte.

Frisieren und Stilisieren, Dichten und Veredeln, Ausschmücken und Auspolstern sind raffinierte Kulturtechniken. Der Autor des eigenen Lebens zu sein, ist ein alter Traum: Einen Lebenslauf zu schreiben heißt, sich wie eine Romanfigur im Spiegel zu betrachten. Wer das Spiegelbild fürs Urbild hält, fällt schnell auf die Nase.

Themen: Betrachtungen, Bewerbung, IT