Mein Kumpel Max hat ein Problem: Auf der Suche nach einem neuen Job bekommt er immer wieder nur Absagen, ohne dass man überhaupt mit ihm gesprochen hat. Verzweifelt sendet er seine Bewerbungsunterlagen an unsere gemeinsame Bekannte Ilka, die als Personalreferentin im Recruiting arbeitet – und bittet sie, einen genaueren Blick auf seine Unterlagen zu werfen. Eindeutige Diagnose von ihr: Zwei Lücken im Lebenslauf sind zwei zu viel, da müssen wir ran!
Aber was soll das heißen? Soll er jetzt lügen? Soll Max, die ehrliche Haut, sich einfach etwas ausdenken, um diese Lücken zu schließen? Ilka sagt: Vielleicht nicht gleich lügen, aber an der Darstellung feilen, die meisten Personaler würden in Lücken einen Indikator für mangelnde Zielstrebigkeit und Gewissenhaftigkeit sehen…
Aber: Haben die Personaler recht? ist es wirklich so? Kann man von Lücken im Lebenslauf tatsächlich so einfach auf Persönlichkeitseigenschaften schließen? Ist Max, nur weil er nach seinem Studium nicht sofort beruflich durchstarten wollte, deshalb weniger zielstrebig? Oder hat es vielleicht vielmehr mit persönlichen Motiven oder auch der schwierigen Arbeitsmarktlage in seinem Bereich zu tun? Ist er wirklich weniger gewissenhaft, weil er zwischendurch ein paar Monate die Pflege seiner kranken Mutter wichtiger fand als seine Karriere? Ich bin da mit meinen Zweifeln nicht allein: Der Wirtschaftspsychologe Uwe Kanning geht diesen Fragen in seiner umfassenden Studie „Lücken im Lebenslauf – Ein valides Kriterium der Personalauswahl?“ an der Hochschule Osnabrück (2014) auf den Grund.
Bei einer Stichprobe von insgesamt 1423 Personen hat er untersucht, inwieweit Lücken im Lebenslauf mit Persönlichkeitseigenschaften wie Selbstkontrolle, Zielorientierung, Gewissenhaftigkeit, Extraversion oder Leistungsmotivation zusammenhängen. Die Ergebnisse sprechen gegen die Intuition vieler Personalentscheider: Von Lücken im Lebenslauf lässt sich kaum auf bestimmte Persönlichkeitseigenschaften schließen. Vor allem wenn nicht berücksichtigt wird, aus welchem Grund eine Lücke im Lebenslauf besteht, ist ein voreiliger Schluss auf mangelnde Leistungsmotivation oder Zielorientierung gefährlich. Schließlich möchte man doch keine geeigneten Bewerber überhastet aussortieren. Berücksichtigt man die Gründe für die Lücken im Lebenslauf, lassen sich immerhin einige relevante Zusammenhänge erkennen: So sind Bewerber, die nach einer abgebrochen Ausbildung eine große Lebenslauflücke aufweisen, tendenziell weniger gewissenhaft und Mütter, die nach der Geburt Ihres Kindes eine längere Pause eingelegt haben, in der Tendenz weniger extrovertiert. Bevor man anhand von Lücken im Lebenslauf Bewerber als ungeeignet einstuft, sollte man laut Kanning aber unbedingt die Gründe für die Lücken des Bewerbers herausfinden. Außerdem ist zu prüfen, inwiefern jene Persönlichkeitseigenschaft, welche die spezifische Lücke angeblich vorhersagt, überhaupt relevant für die Stelle ist. Als Verkäuferin ist ein gewisses Maß an Extraversion sicherlich vorteilhaft, eine Programmiererin hingegen muss nicht zwangsläufig extrovertiert sein.
Die Ergebnisse stimmen nachdenklich. Dass man bei Bewerbern mit Lücken im Lebenslauf besonders vorsichtig sein muss, ist für viele Personaler immer noch ein ungeschriebenes Gesetz. So geben 80% der Personaler an, auf Lücken im Lebenslauf zu achten und diese negativ zu werten. Zu Recht? Die Forschung sagt „Nein“. Bei der beschriebenen Studie von Kanning (2014) handelt es sich um eine Pionierstudie zu dieser Fragestellung, die wie jede Studie auch einige methodische Mängel aufweist. So ist die Stichprobe zwar sehr groß, setzt sich aber überwiegend aus jungen, gebildeten Frauen zusammen und spiegelt die Struktur der berufstätigen Bevölkerung in Deutschland nur bedingt wieder. Die Ergebnisse deshalb zu missachten, scheint mir dennoch falsch. Personaler sollten sich die Frage stellen, ob sie sich das Leben nicht zu einfach machen, indem sie anhand von Lücken im Lebenslauf Bewerber aussortieren und sich so den einen oder anderen glänzenden Kandidaten durch die Lappen gehen lassen.
Von moralischen Fragen ganz abgesehen: Für mich ist Max durch die Pflegezeit seiner Mutter ein noch wertvollerer Mensch geworden, der im Zweifel die richtigen Prioritäten setzen kann. Unternehmen, die Mitarbeiter nur als Erfüllungsgehilfen für vorbestimmte Tätigkeiten sehen und solche Qualitäten nicht wertschätzen, haben Max auch nicht verdient, finde ich. Und Ilka stimmt mir darin zu. Allerdings sagt sie zu Recht: Wenn Max in seinen Unterlagen von vornherein nachvollziehbar dargestellt hätte, warum es die beiden Lücken gibt, hätte er so manch Fehleinschätzung verhindern können.
Also: Mut zur Lücke, ehrlich bleiben und schlüssig erklären, was da los war. Geht doch!
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