Glaubt man den Karriere-Websites und Hochglanzbroschüren, hat jedes nahezu jedes Unternehmen eine mindestens einzigartige, auf jeden Fall aber dynamische Unternehmenskultur, die sich durch eine offene Atmosphäre und hohe Leistungsorientierung auszeichnet. Teamspirit, Eigenverantwortung, Kundenerfolg, Entdeckergeist und soziale Verantwortung sind Schlagworte, die in der Beschreibung der eigenen Unternehmenskultur offensichtlich nicht fehlen dürfen. So scheint es. Reicht es nun für mich als interessierten Kandidaten, mir bei der Job-wahl diese Ansammlung von hochtönenden Leitsätzen anzuschauen, um den für mich passenden Arbeitgeber zu finden?
Nur mal angenommen: ich möchte auswandern. Allerdings weiß ich noch nicht, in welches Land; auf jeden Fall erstmal raus aus Deutschland. Ich schaue mir also nicht nur an, wie teuer die verschiedenen Länder sind, welche Sprache dort gesprochen wird und ob ich dort überhaupt einen Arbeitsplatz finde, ich will natürlich auch wissen, wie die Leute dort ticken, welche ungeschriebenen Regeln es gibt und welche Werte gelebt werden. Unterm Strich: Ich will wissen, welche Kultur das Land prägt. Die Prospekte der Urlaubsanbieter kann ich mir natürlich ansehen, aber vertrauen würde ich denen schon aus zwei Gründen nicht: Zum einen geht es darum, zu verkaufen. Wer Touristen anlocken will, wird nie von einer peniblen, unzuverlässigen Kultur mit leicht reizbaren Menschen berichten. Zum anderen stellt sich die Frage, inwiefern etwas so Komplexes wie die Unternehmenskultur wirklich in ein paar Worte gefasst werden kann. Kultur zeichnet sich doch vor allem durch tiefliegende Grundannahmen, Normen und Werte aus!
Was soll ich also tun? Als erstes will ich herausfinden, welche Aspekte einer Kultur mir persönlich überhaupt wichtig sind. Ist mir Pünktlichkeit wichtig, oder empfinde ich es als entlastend, wenn nicht alles immer so eng gesehen wird? Freue ich mich darüber, wenn mir Fremde wie Freunde begegnen oder möchte ich am Anfang lieber ein bisschen Distanz, um jemanden kennenzulernen? Finde ich es angenehm, wenn Probleme vorsichtig und etwas verblümt geäußert werden, um die Harmonie zu wahren oder gehören sie meiner Meinung nach offen auf den Tisch? Hier gibt es kein richtig oder falsch. Es geht viel eher um passend oder unpassend. Im zweiten Schritt versuche ich deshalb, an geeigneten Stellen herauszufinden, was die verschiedenen Kulturen auszeichnet. Ich suche also Kontakt zu Menschen, die die Kultur kennen. Menschen, die dort leben, ebenfalls ausgewandert sind, die Bekannte dort haben oder vielleicht mal dort gelebt haben.
Wie lässt sich dies nun auf Unternehmen übertragen? Zunächst bin ich angemessen skeptisch hinsichtlich der Art und Weise, wie Unternehmen ihre Unternehmenskultur bewusst darstellen. Auch die Unternehmen wollen sich schließlich gut verkaufen, um qualifizierte Bewerber wie mich anzulocken. Und wer weiß schon, ob sich Unternehmen nicht viel eher so darstellen, wie sie gerne sein würden und nicht so, wie sie tatsächlich sind? Außerdem stellt sich mir gleichfalls die Frage nach Prioritäten: Brauche ich wirklich eine Kultur mit Teamspirit – oder bin ich viel glücklicher, wenn ich in Ruhe meine Arbeit erledigen kann? Nach Studium der Karrierewebseiten suche ich dann nach Kontakt zu Personen, die das Unternehmen kennen. Und generell halte ich, wann immer ich im Bewerbungsprozess Kontakt zu Unternehmen habe, die Augen offen: Entsprechen die gelebten Werte wohl dem, was mir versprochen wird?
Wie also meist im Leben: Trau, schau, wem. Und etwas Vertrauen in das Unternehmen darf auch geschenkt werden, denn schließlich lässt sich die Realität auch an den Ansprüchen messen. Übrigens ist es durchaus legitim, als Kandidat auch ein Unternehmen nach Referenzen zu fragen: Das Gespräch mit einem „echten“ Mitarbeiter der Fachabteilung ist häufig eine wertvolle Ergänzung zum Austausch mit der Peronalabteilung.
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