Bis morgen sollen wir die Farbe für unseren neuen Büroanstrich bestimmt haben. Seit drei Tagen haben wir immer wieder das gleiche Thema… Meine Kollegin will unbedingt ein Sommerrot. Für mich kommt nur ein helles Blau in Frage. Unsere Bürowände waren immer hellblau. Sie ist erst seit einem Jahr im Unternehmen und versucht immer ihren Dickkopf durchzusetzen. Kann sie nicht erstmal in Ruhe schauen, wie hier der Hase läuft, bevor sie ihren Senf überall dazu gibt? Sommerrot im Büro… ob sie nicht mehr alle Tassen im Schrank hat, frage ich sie. Ihr Konter: „Kannst du nicht sachlich bleiben!?“ Ja, ich kann. Wir schlagen uns auf der Sachebene die aberwitzigsten Argumente um die Ohren: „Rot macht aggressiv, das habe ich in einem Wissenschaftsmagazin gelesen.“ Sie entgegnet: „blau wirkt kalt und unfreundlich, das wäre auch abschreckend für Gäste“
Sachlich bleiben, obwohl es nicht um die Sache geht?!
Nachdem wir den Konflikt natürlich nicht rechtzeitig geklärt haben, musste doch der Chef entscheiden – hellblau wie sonst. Ich habe mich durchsetzen können, aber wie ein Gewinner fühle ich mich nicht wirklich. Die Sache ist geklärt, der Konflikt nicht. Ich glaube: meistens geht es gar nicht um die Sache. Wenn ich ehrlich bin, wäre ich auch mit einer anderen Farbe klargekommen. Aber das meine vorlaute Kollegin sich jedes Mal – ganz egal worum es geht – behaupten will, geht mir auf den Wecker. Außerdem stellt sie sich dann immer so da, als wäre sie die Expertin im Büro. Na toll, jetzt habe ich die Farbe bekommen, die ich wollte, aber die Stimmung ist noch schlechter als zuvor. Dabei haben wir den Konflikt doch sachlich ausgetragen. Sollte man Konflikte am Arbeitsplatz wirklich immer sachlich angehen? Auch wenn es gar nicht um die Sache geht?
Es geht darum, was unter der Wasseroberfläche ist.
Ich sehe da zwei Probleme: Zum einen glaube ich, dass wir die Sach- und die Beziehungsebene gar nicht so richtig voneinander trennen können – oder es zumindest unheimlich schwer ist. Jede noch so sachlich formulierte Kritik kann einen irgendwie persönlich treffen und die besten Argumente können uns nicht überzeugen, wenn wir von der Person, die sie vorträgt, nichts halten. Zum anderen ist die Sache, über die man streitet, meist doch nur die Spitze des Eisbergs. Die wirklich bedeutenden Probleme liegen unterhalb der Wasseroberfläche. Ob die Farbe nun unbedingt rot oder blau sein muss, ist zweifelhaft. Aber bevormundet fühlen möchte sich niemand. Der Anspruch, von der neuen Kollegin respektvoll behandelt zu werden, ist genauso verständlich wie die Erwartung, auch als Neuling wie ein vollwertiges Teammitglied angesehen werden zu wollen.
Das wird mir wirklich zu bunt!
Was will ich mit diesen Gedanken bezwecken? Eigentlich ist es nichts Neues: Jeder kennt es, sich über Sachen zu streiten, um die es eigentlich gar nicht geht. Ich möchte deshalb zum Einen dafür sensibilisieren, diese Momente zu erkennen und innezuhalten und zu überlegen, ob es wirklich zielführend ist, gerade jetzt „sachlich“ zu streiten. Zum Anderen finde ich es albern, dass Menschen sich so schwer damit tun, zu sagen, was sie wirklich stört. Stattdessen werden Kriege über Wandfarben geführt. Das wird mir wirklich zu bunt…