Die Wissenschaft vom Lügen

„Du sollst nicht lügen“ heißt es schon in den 10 Geboten. Wer mir sagen würde, er habe noch nie gelogen, dem würde ich nicht glauben. Zumindest beim trockenen Zwiebelkuchen der Tante hat doch jeder schon mal ein oder sogar zwei Augen zugedrückt, um sie nicht vor den Kopf zu stoßen. Ob eine Lüge in bestimmten Situationen okay ist oder wirklich – ganz wirklich! –  nie gelogen werden sollte, sei mal dahingestellt. Ich will in diesem Artikel beleuchten, was die Forschung zu dem Thema Lügen sagt. Die große Frage lautet dabei: Unter welchen Bedingungen lügen Menschen?

 

Der Verhaltensökonom Dan Ariely von der Duke University hat, um dies herauszufinden, ein Experiment in verschiedenen Variationen durchgeführt und kam zu erstaunlichen Ergebnissen. Der Grundaufbau des Experiment ist folgendermaßen: Zunächst ließ er zwei Gruppen von Studenten unter Zeitbegrenzung 20 Matheaufgaben bearbeiten und versprach ihnen eine bestimmte Menge an Geld pro gelöster Aufgabe. Die Aufgaben der ersten Gruppe wurden vom Testleiter eingesammelt und ausgewertet. Durchschnittlich lösten die Studenten vier Aufgaben. Die Aufgaben der zweiten Gruppe wurden nicht eingesammelt. Stattdessen sollten diese selbst angeben, wie viele Aufgaben sie richtig gelöst haben. Man könnte vermuten, dass die Studenten dieser Gruppe ihr Ergebnis deutlich übertreiben, um möglichst viel Geld zu erhaschen. Schließlich wurde ihnen versichert, dass ihr Ergebnis nicht geprüft wird. Entgegen dieser Vermutung stellt Ariely fest, dass niemand richtig viel schummelte, sondern viele ein bisschen. Durchschnittlich gaben die Studenten von 20 möglichen Lösungen nur sieben statt vier richtiger Lösungen an. Ohne zu riskieren erwischt zu werden, hätten die Studenten ein Vielfaches ergaunern können. Ob den Studenten 1$ oder 10$ pro gelöster Aufgabe versprochen wurde, spielte hierbei keine Rolle.

 

Das Experiment zeigt, dass durchaus gelogen wird, allerdings (zumindest in diesem Experiment) nur in geringem Ausmaß. Ariely erklärt dieses Phänomen folgendermaßen: Menschen schummeln nur bis zu einer gewissen Schwelle, damit sie sich nicht selbst als Betrüger sehen müssen. Kleine Gaunereien bedrohen dieses Selbstbild nicht, die begehen schließlich alle. Ich möchte noch zwei Variationen des Experiments vorstellen, die Antworten auf die Frage geben, wie Lügen verhindert werden können.

 

Variation Nummer 1: Unter den Studenten saß diesmal ein Schauspieler, der nach einer Minute unter dem Vorwand aufstand, er habe alle Aufgaben gelöst. Mit höchstmöglicher Beute, verließ der Betrüger vor den Augen der anderen Studenten den Raum. Jedem war klar, dass er geschummelt haben muss. Frei nach dem Motto „Wenn der das macht, dann kann ich das auch“ wurde nun insgesamt wesentlich mehr geschummelt.

 

Variation Nummer 2: Ariely konnte aufzeigen, dass man an die Ehre der Menschen appellieren muss, um Lügen zu verhindern. Wurden die Studenten vor dem Lösen der Matheaufgaben an die zehn Gebote oder ähnliche Ehrenkodizes erinnert, sank die Schummel-quote signifikant.

 

Welche immense Bedeutung für die Praxis die letztgenannte Variation des Experiment haben kann, zeigt folgendes Beispiel: In einem Formular einer amerikanischen Kfz-Versicherung wurden die Versicherten dazu aufgefordert, die Anzahl der jährlich zurückgelegten Kilometer anzugeben. Je höher die Kilometerzahl, desto teurer die Versicherung. Im Rahmen einer Überarbeitung des Formulars experimentierte die Versicherung mit dem Satz „Hiermit versichere ich, dass ich bei der Kilometerangabe nicht untertrieben habe“ und forderte eine Unterschrift. Ergebnis: Die Anzahl der Kilometer stieg um sage und schreibe 15 % im Vergleich zur Kontrollgruppe!

Wie bei jedem Experiment sollte natürlich dennoch hinterfragt werden, inwieweit die Ergebnisse auf andere Situationen übertragen werden können. Als sichere Erkenntnis darf aber gelten, dass die individuelle Bereitschaft zur Lüge vom konkreten sozialen Kontext der jeweiligen Situation abhängt:

Wenn sie also verhindern wollen, dass in Ihrem Unternehmen oder Ihrer Arbeitsgruppe viel gelogen wird oder gar eine Lügen- bzw. Schummelkultur entsteht, dann sollten sie aufpassen, dass es keine falschen Vorbilder gibt, die mit ihrem Verhalten durchkommen.

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