Stellen Sie sich vor, Sie haben einen neuen Mitarbeiter eingestellt. Von Beginn an entpuppen sich seine großen Worte aus dem Bewerbungsgespräch leider als leere Worthülsen: Er arbeitet langsam, unkonzentriert und macht keinen Zentimeter mehr, als er muss. Er wirkt völlig demotiviert. Warum strengt er sich nicht an?
Sie werden jetzt wahrscheinlich schon eine Erklärung für sein Verhalten haben. Eine der im Alltag am häufigsten verwendeten Erklärungen dafür, warum sich jemand auf eine bestimmte Art verhält, ist die Der-ist-so-Erklärung. In diesem Fall würde das bedeutet, dass Ihr neuer Mitarbeiter ein fauler Sack ist. Was hat das alles mit dem Titel dieses Artikels zu tun? Nun – die Art und Weise, wie wir versuchen uns die Welt zu erklären, leitet sich aus Theorien ab, die wir über eben diese Welt haben. Hinter der Der-ist-so-Erklärung steht demnach folgende Theorie: Menschen haben bestimmte Persönlichkeitseigenschaften und die bestimmen ihr Verhalten maßgeblich.
Das ist nun nicht das, woran Sie denken, wenn Sie das Wort Theorie hören? Stimmt schon, für viele Menschen ist Theorie das, was Wissenschaftler aus ihrem Labor heraus schlau daher reden und was mit der Praxis gleichwohl wenig zu tun hat. Eine typische Killerphrase lautet: In der Theorie klingt das ja gut, aber in der Praxis ist das nicht umzusetzen… An dieser Stelle sollte ich wohl erklären, was eine wissenschaftliche Theorie ist: Einfach aus der Luft gegriffen sind diese nämlich nicht. Genau wie bei den Alltagstheorien, die wir vor allem aufgrund persönlicher Erfahrungen bilden, bestehen wissenschaftliche Theorien aus Wenn-Dann-Hypothesen: Wenn die Wassertemperatur 100 Grad erreicht, dann fängt es an zu kochen. Wenn Mitarbeiter zufriedener sind, dann sind sie seltener krank. Der Unterschied zwischen Alltagstheorien und wissenschaftlichen Theorien besteht darin, dass Letztere systematisch überprüft werden müssen, um Stand zu halten. Hierfür werden Studien und Experimente durchgeführt. Frage ich beispielsweise 200 Mitarbeiter danach, wie zufrieden sie an ihrem Arbeitsplatz sind, und stelle dann fest, dass die zufriedensten Mitarbeiter genauso oft krank sind, wie alle anderen auch, dann muss ich meine Theorie verwerfen.
Theorie-Skeptiker sagen jetzt, man solle besser keiner Studie glauben, die man nicht selbst gefälscht hat. Ich wäre auch immer vorsichtig beim Interpretieren von Studien. Will man aber ein praktisches Problem lösen, geht es gar nicht allein um den Wahrheitsgrad einer Theorie, sondern um die Nützlichkeit. In der Praxis können sowohl Alltagstheorien als auch wissenschaftliche Theorien sehr nützlich sein. Wie das? Indem Sie mir helfen, mein Handeln zu hinterfragen und sich so möglicherweise neue Handlungsmöglichkeiten ergeben. Bleiben wir mal bei unserem Eingangsbeispiel: Wenn Ihre Theorie lautet, der neue Mitarbeiter ist erstens eine faule Persönlichkeit und zweitens: Persönlichkeit ist kaum veränderbar, dann bleibt Ihnen wahrscheinlich nicht viel mehr übrig, als bald eine Kündigung auszusprechen. Ziehen Sie eine andere Theorie heran, die sein Verhalten erklären könnte, ergeben sich weitere Optionen: Die Job-Characteristics-Theorie erklärt Motivation beispielsweise durch die Beschaffenheit der Aufgabe, etwa indem sie sagt, dass sich Motivation vor allem aus Anforderungsvielfalt, Ganzheitlichkeit, Bedeutung, Autonomie und Feedback zusammensetzt
Und schon haben Sie weitere Stellschrauben, an denen Sie drehen können, um die Motivation Ihres Mitarbeiters zu erhöhen. Möglicherweise reicht es, wenn Sie ihm etwas mehr Autonomie bei seinen Aufgaben geben… Denn nur, weil man eine weitere Theorie heranzieht, bedeutet das noch längst nicht, dass sie eine Lösung haben. Was Sie aber haben, sind mehr potenzielle Lösungsmöglichkeiten.
Theorie kann uns helfen, an Dinge zu denken, an die wir sonst nicht denken würden. Sie hilft uns unsere eigenen Theorien über die Welt zu hinterfragen. Wenn wir mit unseren eigenen Annahmen mal nicht weiterkommen, ist folglich nichts praktischer als eine (andere) gute Theorie – also Augen und Ohren auf!
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