Wenn mein Fahrrad kaputt ist, dann ist es erfreulicherweise meist relativ leicht, eine Problemlösung zu finden: Da gibt es Experten, die werfen ein kurzen Blick drauf, erkennen wo das Problem liegt und wissen was zu tun ist.
Bei menschlichen Problemen sieht das Ganze häufig deutlich schwieriger aus; da fängt es nämlich schon mit der Fragestellung an. Und ich finde es faszinierend, wie schon mit den richtigen Fragen interessante Lösungsideen ans Licht befördert werden können. In diesem Artikel stelle ich ein paar dieser Fragetechniken vor, wie sie typischerweise in Coachingprozessen Anwendung finden.
Folgende Ausgangssituation: Ich bin Außendienstleiter und kriege mich im Zuge eines gemeinsamen Projektes mit dem Innendienstleiter, Herrn Petzold, ständig in die Haare. Und zwar so sehr, daß das ganze Projekt zu scheitern droht. Da der erfolgreiche Abschluss dieses Projektes für meine Karriere aber extrem wichtig sein könnte, habe ich um ein Coaching gebeten. Der Coach soll mir helfen, mit dem Projektleiter besser klarzukommen.
Ich werde nun nach und nach verschiedene Fragetechniken vorstellen, indem ich zunächst jeweils einen Dialog darstelle und dann erläutere, was der Coach mit der jeweiligen Frage bezweckt hat.
Paradoxe Frage: Was könnten Sie tun, um das Problem zu verschlimmern?
Ich: „Herr Petzold benimmt sich völlig daneben. Andauernd wird er laut, greift mich an und bei Meetings versucht er auch noch, mich vor Anderen blöd aussehen zu lassen! Er hat sich überhaupt nicht unter Kontrolle. Ein richtiger Tyrann ist das. Da kann ich überhaupt nichts machen!“
Coach: „Haben Sie eine Idee, was Sie tun könnten, damit er noch ausfallender wird?“
Ich: „Ja, wenn ich seine Ideen kleinrede, fühlt er sich schnell angegriffen. Wenn ich es darauf anlegen würde, ihn zum Ausrasten zu bringen, dann darf ich kein Verständnis für seine Vorschläge zeigen. Damit kommt er nicht klar.“
Was sollte das nun? Erklärung: Bei paradoxen Fragen geht es darum, die Aufmerksamkeit auf den eigenen Einfluss zu lenken. Wenn ich ein Problem verschlimmern kann, dann kann ich die Stellschraube nämlich womöglich auch in die andere Richtung drehen. Hätte der Coach mich hingegen direkt gefragt, was ich denn machen kann, damit Herr Petzold nicht ständig ausrastet, hätte ich mich wahrscheinlich verteidigt. Schließlich kann ich ja gar nichts dafür, dass er sich so verhält.
Ausnahmenfrage: Wann ist es denn mal besser gelaufen?
Ich: „Das geht ständig so…“
Coach: „Gab es mal einen Moment, bei dem es in ihrer Zusammenarbeit etwas besser lief?“
Ich: „Ja, das ist noch gar nicht so lange her. Da kam ich gut erholt aus dem Wochenende und morgens habe ich noch ein dickes Lob von meinem Chef für das letzte Projekt bekommen. Ich war so gut drauf, dass ich ihn mit meiner Laune wohl anstecken konnte. Auf jeden Fall ist er ruhig geblieben und wir haben ordentlich miteinander geredet.“
Der Zweck solcher Ausnahmenfragen ist, weitere Stellschrauben zu identifizieren. Hier war es möglicherweise die Art und Weise, mit der ich auf ihn eingehe, wenn ich ihm in guter Stimmung begegne.
Zirkuläre Fragen: Wenn ich Ihre Mitarbeiter fragen würde…
Coach: „Angenommen, ich frage Ihre Mitarbeiter, was das Problem zwischen Ihnen und Herrn Petzold ist, was würden die mir wohl erzählen?“
Ich: „Wahrscheinlich würden die sagen, dass da zwei Dickköpfe aufeinander knallen und um die Stelle des Gesamtvertriebsleiters konkurrieren, der bald in Rente geht.“
Mit zirkulären Fragen zwingt der Coach uns in die Vogelperspektive. Mit diesem Blick von Oben auf das Problem gewinne ich etwas Abstand und erkenne, dass Herr Petzold und ich gar nicht so unterschiedlich sind. Ich stelle fest, dass es nicht eindeutig ist, dass er „der Böse“ ist. Ich entwickle durch den Perspektivwechsel also Verständnis für ihn.
Skalierungsfragen: Auf einer Skala von eins bis zehn…
Coach: „Wie würden Sie Ihre Zusammenarbeit momentan zu Herrn Petzold auf einer Skala von eins bis zehn beschreiben? Eins bedeutet dabei, dass es nicht mehr aushaltbar ist – eher würden Sie Ihren Job schmeißen, als noch einen Tag mit Herrn Petzold zusammenzuarbeiten. Zehn bedeutet, dass Ihre Zusammenarbeit optimal funktioniert, es könnte nicht besser laufen.“
Ich: „Das ist schon nah in der Grenze. Ich würde sagen eine drei.“
Coach: „Was würden Sie anders machen, wenn es eine 5 ist?“
Ich: „Dann würde ich ihm zumindest wieder freundlich grüßen, wenn ich ihm auf dem Flur begegne. Vielleicht wäre er dann ja auch nicht von Beginn an so patzig.“
Erklärung: Mit Skalierungsfragen kann der Fokus auf kleine Schritte gelegt werden. Wenn ich nur das Ziel vor Augen habe, alles müsste wieder optimal laufen, dann kommt uns das nämlich häufig wie eine Utopie vor. Wenn hingegen deutlich wird, dass ein kleiner Schritt eigentlich sehr leicht umsetzbar ist, wird daraus eine konkrete Handlungsoption deutlich.
Fazit: Coaching ist auch die Anwendung richtiger Werkzeuge
Nicht selten wird Coaching noch als ein Ansatz verstanden, bei dem es darum geht, an Defiziten der Beteiligten herumzudoktern (was die Hemmschwelle, an einen Coach heranzutreten, eher größer werden lässt). Ich denke aber, unser Beispiel zeigt eine andere Erkenntnis: Neben der passenden Haltung ist Coaching vor allem die Anwendung erprobter und auf die jeweilige Situation angepasster Werkzeuge, um neue Sichtweisen zu fördern und somit weitere Handlungsoptionen zu entwickeln. Deshalb ist es sinnvoll, sich bei einem verhärteten Konflikt an einen Coach zu wenden – bei einem kaputten Fahrrad holen wir uns ja auch Unterstützung, damit wir schnell und sicher weiterfahren können.
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