Struktur in der Mediation – Der Weg zur Konfliktlösung

Die Parteien sind völlig aufgebracht. Der Konflikt eskaliert mehr und mehr… Wie schafft es ein Mediator, die Konfliktparteien – die doch gerade in diesem Moment als allerletztes an ein einvernehmliches Ergebnis glauben – zu einer gemeinsamen Konfliktlösung zu begleiten? Es gehört mehr dazu, als die Streithähne an einen Tisch zu setzen und sie diskutieren zu lassen.  Neben dem sicheren Einsatz von Deeskalationsstrategien und einer gehörigen Portion Empathie zeichnet sich Mediation vor allem durch ein strukturiertes Vorgehen aus. Was das konkret bedeutet, möchte ich in diesem Artikel anhand der ALPHA-Struktur der Mediation von Anita von Hertel (2009) aufzeigen.

Fünf Phasen zur Lösung:
Auftragsklärung,
Liste der Themen besprechen,
Position auf dahinterliegende Interessen untersuchen,
Heureka,
Abschlussvereinbarung

Die ALPHA-Struktur besteht aus fünf Phasen. Im Folgenden beleuchten wir die einzelnen Phasen anhand eines Fallbeispiels: Außendienstleiter (Herr Auermann), Innendienstleiter (Herr Insadi) sowie weitere Mitarbeiter des Innen- und des Außendienstes bilden ein Projektteam, um einen Online-Shop zu errichten. Der Innendienstleiter ist in der Rolle des Projektleiters. Die jeweiligen beiden Leiter kriegen sich ständig in die Haare. Das Projekt droht zu scheitern. Ein Mediator soll helfen.

Auftragsklärung: Klären, was geklärt werden soll.

In der ersten Phase, der Auftragsklärung, geht es darum, sich darüber abzustimmen, worüber sich geeinigt werden soll. In der Regel versuchen die Konfliktparteien zu Beginn ihre Standpunkte darzustellen und deutlich zu machen, dass der jeweils andere ursächlich für das Problem ist. Herr Insadi wirft Herrn Auermann und dessen Mitarbeitern mangelnden Einsatz vor: „Sie geben Unterlagen immer unvollständig und viel zu spät ab!“ Herr Auermann sieht dies anders.

Als Mediator lassen Sie sich aber nicht auf eine Diskussion über Recht und Unrecht ein. Stattdessen suchen Sie nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner: „Ist es ein Ziel, hier zu klären, wie Sie beiden das Thema mit den Unterlagen handhaben wollen?“ Wenn beide Parteien zustimmen, steht nach langem ausschließlichem Gegeneinander auf einmal ein gemeinsames Ziel im Raum. Die Atmosphäre ändert sich und Sie können in die nächste Phase übergehen.

Liste der Themen besprechen: Verstanden werden und verstehen.

In der zweiten Phase, Liste der Themen besprechen, bekommen die Beteiligten nacheinander die Möglichkeit, alle aus ihrer Sicht für den Konflikt relevanten Punkte anzusprechen.

Zunächst erläutert Herr Insadi seine Unzufriedenheit: „Um herausfinden, welche Kanäle sich wie lohnen, sind die Daten wichtig. Die Zusammenarbeit ist so mühselig für uns. Wir müssen allen Zahlen ewig hinterherlaufen. Abgemacht ist, dass die Zahlen Freitag bis Feierabend da sind, damit wir gleich Montag mit der Auswertung loslegen können.“

Daraufhin bekommt Herr Auermann das Wort: „Meine Mitarbeiter hassen den Papierkram. Es ist für uns enorm aufwendig, neben dem normalen Arbeitsalltag noch Daten für das Projekt zusammenzustellen. Wir machen es ja, aber eben dann, wenn es gerade passt.“ Wenn die Beteiligten sich verstanden fühlen, hören die Wortschleifen auf und die Lage beruhigt sich weiter.

Auch hier geht es Ihnen als Mediator weder darum, einen Schuldigen noch eine Lösung für die Beteiligten zu finden. Ihre Aufgabe ist es am Ende dieser Phase, die Standpunkte klar zu formulieren und entgegenzustellen: „Bevor wir hier jetzt weiter diskutieren, möchte ich den Kern einmal zusammenfassen: Projektzahlen sind pünktlich freitags um 17 abzugeben vs. Projektzahlen werden abgegeben, wenn dafür Zeit ist. Sehe ich das richtig?“ Wenn für die Konfliktparteien klar ist, was die verschiedenen Standpunkte sind, dann ist aus dem diffusen Hin- und Her aus Angriff und Rechtfertigung beruhigende Klarheit entstanden.

Positionen auf dahinterliegende Interessen untersuchen: Worum geht es wirklich?

In dieser Phase geht es darum herauszufinden, welche Interessen hinter den verschiedenen Positionen stehen. Zum einen kommen durch das Offenlegen der Interessen häufig neue Lösungsmöglichkeiten ans Licht. Wenn sich zwei Kollegen darüber streiten, ob das Fenster im Büro offen oder geschlossen bleiben soll und es einem um die Sauerstoffzufuhr und dem anderen darum geht, dass es nicht zieht, reicht es schon aus, ein Fenster im Nebenraum zu öffnen. Zum anderen führt das Erkennen nachvollziehbarer Interessen häufig zu einem tiefen gegenseitigen Verständnis, das neue Wege ebnet.

Deutlich wird dies durch die Antwort von Herrn Auermann: „Ehrlich gesagt glaube ich, dass wir mit jeder Zahl, die wir liefern, an dem Ast sägen, auf dem wir sitzen. Was ist denn, wenn rauskommt, dass wir einen Teil des Außendienstes durch den Online-Shop einsparen können? Meine Leute haben Angst, ihren Job zu verlieren.“

Heureka: Auf zur Lösung!

Jetzt ist der Weg für Lösungsideen frei. Wenn die Interessen offenliegen und gegenseitiges Verständnis entstanden ist, dann geschieht diese Phase häufig wie von alleine. Herr Insadi reagiert folgendermaßen: „Ich verstehe Ihre Angst. Bisher sieht es nicht so aus, als müssten Sie vor Stellenabbau Angst haben. Aber wir sollten das vielleicht noch mit der Geschäftsführung absprechen, um sicherzugehen. Was halten Sie davon?“ Herr Auermann hat zwar Angst vor der Antwort, sieht aber ein, dass dies der beste Weg ist.

Abschlussvereinbarung: Wer hat wann, wo, wie, was genau zu tun?

Nachdem Lösungsideen gefunden wurden, ist es in der letzten Phase noch Aufgabe des Mediators, sicherzustellen, dass präzise Regelungen für die Umsetzung vereinbart werden. Ansonsten kann es passieren, dass die vereinbarten Pläne im Alltagsstress versanden.

 

Wenn man vergleicht, wie die Konfliktparteien vor der Mediation gegeneinader standen und wie sie am Ende eines Mediationsprozess häufig zueinander stehen, bin ich immer wieder beeindruckt. Nachdem die Beteiligten vorher kaum ein ruhiges Wort miteinander sprechen konnten, scheint es, als wäre ein kleines Wunder geschehen. Menschen zu Konfliktlösungen zu begleiten, ist sicher nicht einfach, aber es ist auch keine Zauberei: Eines der wichtigsten Elemente ist ein strukturiertes Vorgehen.

von Hertel, A. (2009). Professionelle Konfliktlösung. Führen mit Mediationskompetenz. Frankfurt/Main: Campus.

 

 

Autor: Michel Eggebrecht

Themen: Menschen, Personalwirtschaft, RatgeberSchlagworte: ,