Unternehmen sind mehr und mehr darauf angewiesen, dass deren Mitarbeiter ihr Wissen mit einbringen und relevante Gedanken sowie Kritik äußern.
Wenn Unternehmen nämlich nicht erkennen, welche Probleme Mitarbeiter sehen, kann dies verheerende Folgen haben. Nicht selten fragen sich Unternehmen dann im Nachhinein: „Wusste denn niemand hier, dass das so nicht umsetzbar ist?“ Wichtige Mitarbeiter kündigen, ohne dass sie ihre Unzufriedenheit je geäußert haben. Dies ist vor allem dann tragisch, wenn es aus Unternehmenssicht einfach gewesen wäre, die Ursache der Unzufriedenheit zu beheben. Ähnlich tragisch ist es, wenn Mitarbeiter innovative Ideen oder Verbesserungsvorschläge für sich behalten, die im Wettbewerb zur Konkurrenz einen echten Vorteil bieten würden. Was können Unternehmen also tun, um relevante Informationen der Mitarbeiter auf den Tisch zu bringen?
Ohr an Basis: Auch im Sinne der Mitarbeiterbindung
Das Ansprechen von Missständen und Problemen, aber auch das Äußern von Verbesserungsvorschlägen in Unternehmen wird in der Fachliteratur unter dem Begriff „Employee Voice“ (Mitarbeiterstimme) zusammengefasst. Um Voice-Verhalten zu fördern, macht es zunächst Sinn zu verstehen, wann Mitarbeiter sich dafür und wann dagegen entscheiden, ein relevantes Thema auf den Tisch zu bringen. Liang, Farh und Farh (2012) sprechen im Zusammenhang mit dem Konzept Voice von einer gedanklichen Kosten-Nutzen-Abwägung. Menschen berücksichtigen demnach mehr oder weniger bewusst die potenziellen Kosten- und Nutzenerwartungen, die mit der Ansprache eines Themas einhergehen könnten. Ein potenzieller Nutzen wäre beispielsweise die Dankbarkeit des Vorgesetzten nach einem hilfreichen Verbesserungsvorschlag oder die Erwartung daran, durch die Ansprache eines Problems als mutig angesehen zu werden. Potentielle Kosten sind beispielsweise nach der Ansprache eines Problems als „Nörgler“ dazustehen oder die Austragung eines unangenehmen Konfliktes, der durch eine Ansprache entstehen könnte. Ob etwas geäußert oder verschwiegen wird, hängt also von dem Resultat eines kognitiven Abwägungsprozesses ab.
Wenn eine Führungskraft möchte, dass Mitarbeiter ihre Unzufriedenheit, Probleme oder Ideen äußern, dann sollte sie sich dem erläuterten Abwägungsprozess bewusst sein und sich fragen, ob sich eine Ansprache aus Sicht ihrer Mitarbeiter lohnt.
Kritik erleichtern durch Tools
Eine Ansprache sensibler Themen kann beispielsweise durch anonyme Beschwerdesysteme oder Meckerboxen vereinfacht werden. Es gibt auch Unternehmen, die erfolgreich das Äußern von innovativen Ideen fördern, indem sie hierfür finanzielle Anreize schaffen. Aus unserer Sicht (und auch aus Sicht der aktuellen Forschungslage) ist einer der wichtigsten Faktoren für die Entscheidung, ob Mitarbeiter Themen auf den Tisch bringen oder nicht, jedoch die Reaktion der Führungskraft. Wenn Mitarbeiter nämlich wiederholt erleben, dass ihr Chef genervt reagiert, wenn sie ihm ein Problem schildern oder er Verbesserungsvorschläge einfach abbügelt, ohne richtig zugehört zu haben, dann werden die Mitarbeiter in Zukunft immer weniger motiviert sein, überhaupt etwas anzusprechen. Auch Kommentare wie „da müssen Sie schon selbst durch“, „das ist doch ganz einfach, wieso haben Sie das nicht so gemacht“ oder „stellen Sie sich mal nicht so an“ können schnell dazu führen, dass Mitarbeiter zwischen den Zeilen nur die Bezeichnung „Jammerlappen“ raushören und sich zukünftig zweimal überlegen, ob sich eine Ansprache für sie lohnt.
Proaktive Führungskräfte erforderlich
Hilfreich ist daher, sich als Führungskraft aktiv zu kümmern: Fragen Sie ihre Mitarbeiter nach Problemen oder Verbesserungsvorschlägen. Allein durch die Tatsache, dass Sie aktiv danach fragen, kommunizieren Sie auch, dass Sie Interesse an der Sichtweise Ihrer Mitarbeiter haben. Aus Mitarbeitersicht sinkt die Hürde etwas anzusprechen, weil Sie ja schließlich selbst gefragt haben und eine genervte Reaktion daher relativ unwahrscheinlich ist.
Was können Sie also zusammenfassend tun, um Employee Voice zu fördern?
Erstens: Berücksichtigen Sie potenzielle Vor- und Nachteile einer Ansprache aus Sicht der Mitarbeiter
Zweitens: Passen Sie besonders auf Ihre eigene Reaktion auf und schließlich
Drittens: Fragen Sie aktiv nach Problemen und Verbesserungsvorschlägen.
Quelle: Liang, J., Farh, C.I. & Farh J-L. (2012). Psychological antecedents of promotive and prohibitive voice: A two-wave examination. Academy of Management Journal, 55, 71–92.
Autor: Michel Eggebrecht
Themen: Betrachtungen, Chef, Menschen, Mitarbeiter, Ratgeber, Unternehmen